Erinnerung an glückliche Jahre...

Das habe ich 2001 geschrieben - nicht unbedingt zur Freude aller Kollegen. Vor allem nicht der Lehrerkollegen. Und die letzte Rektorin in meiner Amtszeit ließ das Schreiben sogar aus der Homepage der Schule entfernen. 

Seis drum. 

ich habs gerade wieder gefunden...

Und hier wird es keiner entfernen. 

Vermutlich auch keiner lesen. 

„PM“ an der Walter-Gropius-Schule -  eine Stellenbeschreibung

 

Drei Häuser hat die Grundstufe.

Sie heißen B1, B2 und B3.

Was die Zahlen bedeuten, ist einleuchtend; aber was heißt B?

Bauteil? Beta? Bannmeile? Basis? Bastion? Barriere? Bagatelle? Oder vielleicht Behelfsbau?

Ich weiß es nicht. Aber es gibt jedenfalls drei davon.

 

Und hier spricht B3.

Genauer gesagt: hier spricht die kleine – und wenig renitente – Minderheit von B3, ohne die morgens keiner ins Haus käme.

 

Wir sind die, die aufschließen.

Damit sind nicht die Hausmeister gemeint, auch wenn dieser Verdacht nahe liegen könnte, sondern die Pädagogischen Mitarbeiter, die, mit dem Kürzel „PM“ versehen, offensichtlich nur dazu da sind, den Schülern das Leben sauer zu machen.

Sie schließen nicht nur auf; sie verlangen, dass Fenster geöffnet, Blumen gegossen und Fische gefüttert werden.

Sie wollen unablässig, dass Müll vom Boden aufgehoben wird, den keiner hingeworfen hat. Sie verbieten Prügeleien, die doch nur Reaktionen auf Beleidigungen sind.

Sie verbieten sogar die Beleidigungen.

Sie wollen, dass Schüler „Guten Morgen!“ sagen. Sie wollen, dass sie die Base-Cups abnehmen und nicht mit Rollern oder Inline-Skatern durch die Pergola sausen, obwohl die dafür wie gemacht ist. Sie wollen nicht einmal, dass Schüler dort auch nur rennen, was nun wirklich niemand begreifen kann, nicht mal die, die umgerannt werden.

Sie wollen nicht, dass Schüler auf der Tischtennisplatte stehen; sie wollen nicht mal, dass sie darauf sitzen. Sie wollen nicht, dass im Haus Fußball gespielt wird; sie wollen nicht, dass Schüler gegen Wände oder Türen treten und sie haben nicht das geringste Verständnis dafür, dass auf den Boden gespuckt wird, auch nicht draußen. Sie erlauben nicht, dass Schüler zu dritt an der Seilbahn hängen; sie erlauben auch nicht, dass sie mit Zicke-Zacke-Schwung den - oder die -  benachbarten Seilbahnfahrer rammen.

Sie sind rundherum kleinlich.

 

Ganz übel wird es, wenn sie sich mit den Lehrern zu einer unheiligen Allianz verbünden, die unter dem schreckenerregenden Namen „Arbeitsstunde“,  nur einen einzigen Zweck verfolgt: den, vom Unterricht schon ausreichend gebeutelten und über jedes vernünftige Maß hinausgehend strapazierten, Schülern, den Rest zu geben.

Nicht nur zum Unterricht, sogar zur Arbeitsstunde sollen sie pünktlich erscheinen; dabei ist kaum das eine zu schaffen.

Das Arbeitsmaterial soll auf dem Tisch  liegen; und darunter ist keinesfalls der Game-Boy zu verstehen, auch nicht die Pokémon-Karten;  und Wrestling-Hefte sind ein rotes Tuch.

Auf gänzliches Unverständnis stößt man als kommunikativer Schüler bei dem steten Versuch, sein Mitteilungsbedürfnis  zu jeder Stunde auszuleben, die Gott geschaffen hat. Dabei ist Miteinanderreden das A und O jeder sozialen Gesellschaft!

 

Andererseits: sie stehen – jedenfalls in der Regel – mit Pflastern parat, bereit, jegliche Blessur, vom aufgeschlitzten Arm – (durch die Pergola gerannt, Bremsen versagt, volle Kanne in die Glasscheibe) – bis zum blauen Auge – (siehe Absatz 3) – zu verarzten und mit unerwünschten Ratschlägen zu beträufeln.

Sie haben meistens ein Kühlkissen für brummende Schädel und Heilsalbe für aufgeschürfte Knie, notfalls sogar ein bequemes Sofa für ganz brisante Fälle. Es soll schon Tage gegeben haben, wo dieses Sofa mit bis zu vier Patienten bestückt war, gar nicht zu reden von den Krankenbesuchern.

 Sie wissen sogar wo die Telefonnummern von Eltern, Großeltern und sonstigen Verwandten versteckt sind, wenn Pflaster, Kühlkissen, Salbe und Sofa  nicht mehr ausreichen.

Sie sind, durch ein entweder angeborenes oder später eingebautes RSS - (Rundum-Sensor-System) - vorzüglich dafür ausgerüstet, fünfzehn – (Mindestzahl) – durcheinanderschreienden und sich gegenseitig beschuldigenden Schülern gleichzeitig zuzuhören, den Unschuldigen – (immer alle) – zu ihrem Recht zu verhelfen, sowie die Schuldigen – (nie einer) – zur Rechenschaft zu ziehen.

 

Sie sind Sprinter.

Genauer gesagt, sie sind Treppauf-Treppab-Sprinter.

Ein normales B-Haus besteht aus drei Etagen: unterer Zentralraum, oberer Zentralraum und PM-Balkon, der wie ein Adlerhorst darüber hängt, und zwar ebenso offen und luftig aber bei weitem nicht so unzugänglich   ist.

Auf diesem PM-Balkon – auch zartfühlend PM-Bereich genannt, was wohl assoziieren soll, dass es sich hier um ein  Refugium zur Pausengestaltung handelt, wohingegen ein Vergleich mit dem U-Bahnhof Hermannplatz zur Stoßzeit weitaus treffender wäre, was dazu führt, dass sich die meisten PMs zur Pause in die Gropius-Passagen flüchten, weil es da bedeutend ruhiger zugeht – auf diesem PM-Balkon also befindet sich das Telefon.

Das Telefon klingelt grundsätzlich dann, wenn der PM entweder: eine Arbeitsstunde im Zentralraum – eine Treppe tiefer -  oder eine Freistunde im Zentralraum – eine Treppe tiefer – oder aber beides hat, soeben damit beschäftigt ist, Gips anzurühren, der im Hui hart wird, Farbe auf ein Seidentuch aufzutragen, was blitzschnell Ränder gibt, wenn man nicht wie der Teufel hinterher ist, Window-Colour aufzuzeichnen, die sofort eintrocknet, Bingo zu spielen oder ratlosen Schülern durch die unüberwindlichen Bastionen der Arithmetik zu helfen - genau dann klingelt das Telefon.

Und es hört punktgenau dann auf zu klingeln, wenn der PM, Gips, Pinsel, Farbe, Spiel oder Schüler fallenlassend, die Treppe hinaufgesprintet ist und das Telefon, schnaufend und mit Seitenstichen, erreicht hat.

Dann kommt Freude auf.

 

Sie sind Saubermänner und-männinnen. (Falls es ein männliches Äquivalent von „Frau“ geben sollte, bitte schnellstens mitteilen. Notfalls kann man ja eins erfinden, der Duden nimmt es bestimmt irgendwann auf; so wie „zögerlich“ oder „Schemas“ oder „gewunken“. Nur Mut. Alles ist möglich.)

Also, sie sind säuberlich. Das bedeutet, dass sie des Morgens in der Früh’ durch alle Räume schnüren um sie auf ihren Reinlichkeitszustand zu überprüfen, bzw. darauf, ob die für diese Reinlichkeit zuständigen Fachkräfte ihres Amtes ordnungsgemäß gewaltet haben. Haben sie das nicht, was ja durchaus vorkommen kann, weil Dreck, der sich hinter Heizkörpern und unter Schränken befindet, in der Regel erst nach Jahren oder Jahrzehnten sichtbar wird und dann eventuell  im Zuge einer Generalrenovierung beseitigt werden kann, vorausgesetzt eine solche umstürzlerische Maßnahme findet jemals Anwendung, bevor Abriss und Neubau der Schule beschlossen werden – aaalso, haben sie das nicht, dann tritt der Zettel in Aktion. Der „es-wurde-nicht-ausreichend-und-ordnungsgemäß-gereinigt-und-zwar-in-dem-und-dem-Raum-nicht“ Zettel nämlich, den ein PM dann auszufüllen, mit Datum und Unterschrift zu versehen und anschließend, nach einem kreislauffördernden Frühsprint,  bis Viertel vor acht im Briefkasten des Hausmeisters zu versenken hat.

 

Dies leitet über zu der wahrscheinlich bemerkenswertesten Eigenschaft eines durchschnittlichen PMs: Geduld.

 

PMs sind geduldig; sie schreien selten lauter als die Schüler. Sie beschweren sich fast nie, nicht über Vertretungen am Montag morgen, nicht über verstopfte Toiletten oder seit Jahren marode Wasserrohre und daraus resultierende Überschwemmungen, nicht über Eltern, die kaum wissen, wie ihre Sprösslinge aussehen,  ihnen aber  erzählen wollen, wie sie ihren Job machen sollen, noch über – natürlich nur einige wenige -  Kollegen, die in ihnen Kalfaktoren sehen möchten; auch nicht über Ausflüge zum Schulgarten, von denen sie entweder nass wie ertrunkene Katzen oder aber mit Sonnenstich, mit absoluter Sicherheit jedoch restlos auf den Felgen  zurückkehren; noch nicht mal über Gesamtkonferenzen.

Das gehört alles zum Job.

Und den machen sie gern

Warum?

Vielleicht weil er so lebendig ist.

Kein PM, der abends mit müden Knochen und blankliegenden Nerven nach Hause schleicht und noch vor der Tagesschau im Sessel einschläft, wird glauben, einen leeren Tag verbracht zu haben, an dem das Ticken irgendeiner Uhr das lauteste Geräusch gewesen wäre.

 

Und weil wir keine Arbeit kennen, die uns selbständiger unsere Kreativität austoben und unsere Individualität einbringen lässt als diese hier, an diesem Ort.

 

In B 3.

 

Ach ja.

Da war noch was.

 

Wir haben auch eine pädagogische Ausbildung.